Im Laufe des 12. Jahrhunderts kamen im Zuge der deutschen Ostwanderung die ersten deutschsprachigen Siedler in das heutige Tschechien. Demnach war Böhmen seit dem 12. Jahrhundert ein zweisprachiges Land. In der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts war in etwa ein Viertel der Bevölkerung Böhmens deutschsprachig. Ungefähr 220 000 Deutsche blieben nach 1947 in der Tschechischen Republik und konnten teilweise ihren angestammten Dialekt bewahren und auch an ihre Nachkommen weitergeben. Die Erforschung der Strukturen des bairischen Basisdialekts der älteren Generation tschechischer Bürger mit deutscher Abstammung im ehemals deutschsprachigen Gebiet in Tschechien war seit langem ein von vielen Seiten gefordertes Desiderat der heutigen Sprachwissenschaft. Man kann davon ausgehen, dass die wenigen noch Deutsch sprechenden Menschen den Dialekt in seiner ursprünglichen Form, den so genannten Basisdialekt, bewahren konnten.
Das Erhebungsgebiet beschränkt sich auf jene Teile des Böhmerwaldes, die bis 1945 traditionelles deutsches Siedlungsgebiet waren. Der Böhmerwald ist ein etwa 220 Kilometer langer Gebirgszug in der Südwestgrenze Böhmens zu Österreich und Deutschland. Die höchsten Gipfel des böhmischen Teiles sind die Grenzberge Plechý (Plöckenstein, 1.378 m), Boubin (Kubany, 1.362 m) und Jezerny stěna (Seewand, 1343 m). Der Hohe Böhmerwald wird durch die Passübergänge von Eisenstein (992 m) und Kuschwarda (967 m) in drei Teile gegliedert.
Die Suche nach Gewährspersonen, welche die für die sprachliche Eignung relevanten Auswahlkriterien erfüllen sollen, gestaltet sich äußerst schwierig. Der Großteil der Gewährspersonen konnte auf inoffiziellem Weg über vertriebene Sudetendeutsche, die noch Kontakte zu verbliebenen Sudetendeutschen pflegen, aufgefunden werden. Passende Gewährspersonen stellen die Basis für ein derartiges Unterfangen dar. Hinzu kommt ein wichtiges Argument: Die Frau bzw. der Mann müssen freiwillig Auskunft geben wollen und zu einem Gespräch bereit sein. Um den so genannten bairischen Basisdialekt exakt dokumentieren zu können ist es erforderlich, Vertreter der älteren Generation für Befragungen zu konsultieren.
In folgenden Ortschaften Personen ausfindig gemacht werden, die in ihrem Geburtsort aufgewachsen sind und immer noch dort leben: Wallern, Ernstberg, Eleonorenhain, Philippshütte, Winterberg, Innergefild, Müllerschlag, Scheiben, Bischofteinitz. Unter den Befragten befinden sich sechs Frauen aus Unterreichenstein, Ernstberg, Philippshütte, Eleonorenhain, Oberplan und Markt Eisenstein, die die tschechische Sprache zu keiner Zeit befriedigend erlernt haben. Interferenzen mit dem Tschechischen können daher komplett ausgeschlossen werden.
Die älteste Gewährsperson aus Ernstberg (98) war als Landwirtin tätig und sprach originalen Dialekt, gekennzeichnet durch diverse syntaktische Besonderheiten. Auf Grund eingeschränkter Mobilität verbrachte sie ihr Leben in der Abgeschiedenheit auf einem Bauernhof nahe Winterberg. Ihre Aussagen sind daher für Forschungszwecke hervorragend geeignet und von großer Bedeutung für den dokumentarischen Wert des Basisdialekts.
Nach 1946 gab es im Böhmerwald keine deutschen Schulen mehr, was dazu führte, dass einige wenige der befragten Personen auf tschechische Schulen wechseln mussten. Mit der Machtübernahme der Kommunisten nahm der Druck auf die verbliebenen Deutschsprachigen zu und die deutsche Sprache verschwand aus dem öffentlichen Leben. Im familiären Bereich wurde jedoch bei allen Gewährspersonen weiterhin der bairische Dialekt gepflegt und ausschließlich gesprochen. Viele der Informanten zahlten ihren Kindern und Enkelkindern sogar Deutsch-Nachhilfestunden, was die Bedeutung der deutschen Sprache unter Beweis stellt. Dies soll an nachfolgendem Korpusbeleg aus Unterreichenstein verdeutlicht werden. Das Zitat stellt einen Dialog zwischen Mutter (nur deutschsprachig) und ihrem Sohn dar:
Sohn: Wichtig is, dass` dahoam gwen is. Wai wennsd ned dahoam gwen waadsd, kanndma i und mai Bruada ned so guad daidsch. Mia sama vo da Schul kema, hama miassn, oa Glass a
daidsche Schul khod, ned. Und dann is de behmische Schul gwen und dann is`s aus gwen, ned.
(Wichtig ist, dass sie daheim gewesen ist. Weil wenn du nicht daheim gewesen wärst, könnten ich und mein Bruder nicht so gut Deutsch. Wir sind von der Schule gekommen, haben müssen eine Klasse
deutsche Schule gehabt, nicht. Und dann ist die böhmische Schule gewesen und dann ist es aus gewesen.)
Mutter: Na und unsane, daine Enkln und Uaengln kanndnd aa ned Daidsch. De reend oile daidsch, na.
(Na und unsere, deine Enkel und Urenkel könnten auch nicht Deutsch. Die reden alle deutsch, na.)
Sohn: De reen oile daidsch maine Kinda, mai Bua und mai Dochda. Mai Dochda is sowieso a Daidschlehrarin, de is en da Fachschule en .... De duad Daidsch undarichtn, ned. Und da Bua, de reend oile fast berfegd daidsch.
(Die reden alle deutsch meine Kinder, mein Sohn und meine Tochter. Meine Tochter ist sowieso eine Deutschlehrerin, die ist in der Fachschule in .... Die tut Deutsch unterrichten, ned. Und der Sohn, die reden alle fast perfekt deutsch.)
Mutter: Saine Kinda hob oile i afzong, ned. Sai Frau is aa, sai Wai muaße sogn, sai Wai is aa en d´Oawad ganga, ned. Und ea aa und do hobe de Kinda do ghod, ned. Na und
hiatz kinans Daidsch. Noja, han nua daidsch gred. Mia hama dahoam nua daidsch gred, aa midn Buam und mai Ma, mia hama nua daidsch gred.
(Seine Kinder hab alle ich aufgezogen, nicht. Seine Frau ist auch, sein Weib muss ich sagen, seine Frau ist auch in die Arbeit gegangen, nicht. Und er auch und da habe ich die Kinder dagehabt, nicht.
Na, und jetzt können sie Deutsch. Naja, hab nur deutsch geredet. Wir haben daheim nur deutsch geredet, auch mit dem Bub und mein Mann, wir haben nur deutsch geredet.)
Belege dieser Art lassen sich nahezu bei jeder Exploration auffinden und unterstreichen die getroffenen Feststellungen. Lediglich eine Gewährsperson gab an, aus Angst vor sozialen Konsequenzen und existenzbedrohenden Benachteiligungen, sich sprachlich an das tschechische Umfeld angepasst zu haben und die deutsche Sprache, zumindest als Primärinstanz, bewusst verdrängt zu haben. Dennoch verfügte sie bei der Befragung über ausreichende Dialektkompetenz und gab an, regelmäßig Kontakt zu vertriebenen Verwandten und Bekannten zu pflegen. Auch ihre Aussagen lassen viel versprechende Ergebnisse erwarten.
In den untersuchten und besuchten Familien wurde das Deutsche fast ausnahmslos an die Kinder weitergegeben. Viele Nachkommen arbeiten sogar in Deutschland. Die Gewährspersonen verfügen alle über ausreichende Dialektkompetenz und waren nach dem Krieg kaum Einflüssen aus dem deutschsprachigen Ausland ausgesetzt. Sie besuchten ausnahmslos, zumindest einige Jahre, die deutsche Schule.
Allein schon die Tatsache, dass der Dialekt im Böhmerwald seit mehr als 50 Jahren isoliert im engsten Familien-, Freundes- oder Bekanntenkreis Anwendung fand, spricht dafür, dass Fremdeinflüsse und auch die Überdachung mit der Standardsprache als minimal zu betrachten sind. Folgende Gesichtspunkte legitimieren die Benennung des Dialekts im Böhmerwald als Basisdialekt und untermauern seine Konservativität:
Für das Bairische typische Kennwörter finden sich bei allen Gewährspersonen:
Die Verwendung der alten Dativform ist ebenfalls vorherrschend:
Die Konjunktion wenn/wann: Wie auch in anderen deutschen Dialektgebieten, tritt auch im Bairischen der Gebrauch der Konjunktion in der Form wann auf. Für das Mittelbairische kann der
Rückschluss gezogen werden, dass wann die basisdialektal ältere Form darstellt.
Vor allem bei den älteren Informanten, welche die tschechische Sprache nie befriedigend erlernten, dominiert die Verwendung von wann. Das antiquierte Kontraktionsprodukt von mittelhochdeutsch age zu oa findet sich bei der Gewährsperson aus Wallern beim Partizip Perfekt von sagen:
Eine Besonderheit des Bairischen ist der Übergang von anlautendem s- zu h-, wie er heutzutage fast ausschließlich in den Pluralformen des Verbs sein auftritt. Die Entstehung des Phänomens ist bis heute noch ungeklärt. Die Verwendung der h-Lautung ist als rein basisdialektal zu bezeichnen. Im ntersuchungsgebiet sind die Pluralformen hads, hama, hand die ausschließlichen:
Lediglich bei den beiden jüngeren Gewährspersonen lässt sich bisweilen die Verwendung der s-Form beobachten. Im altbairischen Sprachraum werden die Pluralformen von sein zusehends von den s-Formen be- und verdrängt.
Die Anzahl der existierenden Laute, welche die Konservativität des Dialekts im Böhmerwald unterstreichen, ist schier unermesslich.
Der Erhalt von germanisch eu bzw. althochdeutsch iu in Form von ui, welches sich im binnenbairischen Raum zu oi bzw. ia entwickelt hat, stellt ebenfalls die Konservativität des Dialekts unter Beweis.
Zudem existiert im Böhmerwald noch vereinzelt der Erhalt von altem ui aus germ. eô: